Proton-CEO Andy Yen warnt, dass der vorgeschlagene Schweizer Überwachungsgesetzentwurf die Demokratie bedroht. Das Unternehmen beginnt als Reaktion damit, Server ins Ausland zu verlegen.
Schweizer Tech-Gigant Proton startet Server-Exodus aus Angst vor Überwachung
Proton, der in der Schweiz ansässige Anbieter verschlüsselter E-Mail- und Privatsphäre-Dienste, hat begonnen, seine Infrastruktur aus der Schweiz zu verlegen. Dies ist eine Reaktion auf einen Gesetzesentwurf zur Überwachung, der laut CEO Andy Yen das Land in einen "Polizeistaat" verwandeln könnte. Das Unternehmen mit weltweit über 100 Millionen Nutzern verlegt Server nach Deutschland und Norwegen als Vorsichtsmaßnahme gegen die überarbeitete Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF).
Die umstrittene VÜPF-Revision
Der Schweizer Bundesrat unter Justizminister Beat Jans schlug im Januar 2025 Änderungen an der VÜPF vor, die die Überwachungsbefugnisse erheblich ausweiten würden. Den vorgeschlagenen Änderungen zufolge müssten verschlüsselte Diensteanbieter wie Proton und Threema Nutzer identifizieren, Metadaten (einschließlich Standort und Kommunikationsmuster) sammeln und automatisierte Zugangsportale für Strafverfolgungsbehörden entwickeln. 'Dies wäre ein massiver Eingriff in die Privatsphäre', sagte Yen der Schweizer Publikation NZZ. 'Wir sprechen hier von einer automatisierten Hintertür, die potenziell jedem Polizisten und Staatsanwalt Zugang zu den Daten unserer Kunden geben könnte.'
Die vorgeschlagene Verordnung schafft drei Kategorien für abgeleitete Kommunikationsdienstleister (AAKD), wobei Proton wahrscheinlich die strengsten Anforderungen erhalten würde. Unternehmen mit mehr als 1 Million Nutzern oder einem Jahresumsatz von 100 Millionen CHF müssten vollständige Überwachungsmöglichkeiten mit technischen Schnittstellen für Behörden implementieren.
Politischer Gegenwind und demokratische Bedenken
Fast alle großen Schweizer politischen Parteien, darunter die SVP, FDP, GLP, SP und die Grünen, haben die vorgeschlagenen Änderungen abgelehnt. Kritiker argumentieren, die Maßnahmen seien unverhältnismäßig und überschritten die gesetzlichen Grundlagen. Am 10. Dezember 2025 verabschiedete der Ständerat eine Motion, die den Bundesrat verpflichtet, die Verordnung grundlegend zu überarbeiten und eine neue Konsultation durchzuführen.
Yen äußerte besondere Besorgnis über den demokratischen Prozess: 'Wer Gesetzgebung der Polizei überlässt, darf sich nicht wundern, wenn er eines Tages in einem Polizeistaat aufwacht', warnte er. 'Die Regierung hat vor Gericht bereits verloren, und jetzt versucht sie es dennoch mit einer Verordnung, um ihr Ziel zu erreichen. Man kann kein Referendum gegen Verordnungen einreichen, auch wenn diese weit über den gesetzlichen Rahmen hinausgehen.'
Protons Reaktion und Infrastrukturverlagerung
Proton hat begonnen, seine gesamte Infrastruktur zu duplizieren, wobei Daten nun auf Servern in der Schweiz, Deutschland und Norwegen liegen. Das Unternehmen kann die Schweizer Systeme bei Bedarf schnell abschalten. 'Ich hatte immer gehofft, nie solche Schritte unternehmen zu müssen', sagte Yen. 'Aber die Lage in der Schweiz ist derzeit zu unsicher für uns. Wir hatten keine andere Wahl, als unsere Abreise zu planen.'
Das Unternehmen hat auch begonnen, mehr Personal außerhalb der Schweiz einzustellen und einige bestehende Mitarbeiter verlegt. Protons neuer KI-Assistent Lumo wird das erste Produkt sein, das umzieht, was eine Investition von über 100 Millionen Euro in die EU-Infrastruktur darstellt.
Weitreichende Implikationen für die Schweizer Tech-Branche
Yen argumentiert, dass die Regulierung unfairen Wettbewerb schafft: 'Es ist absurd: Die meisten Länder schaffen Barrieren für ausländische Unternehmen, aber die Schweiz würde mit der VÜPF Barrieren für inländische Unternehmen errichten', erklärte er. 'Für Proton, das Schweizer Unternehmen, würden viel strengere Regeln gelten als für Google. Und das, obwohl Google auch Tausende von Mitarbeitern in der Schweiz hat, seine Dienste hier vermarktet und sogar mehr Nutzer hat als Proton.'
Der CEO, ein ehemaliger Teilchenphysiker, der nach seiner Promotion in Harvard am CERN arbeitete, gründete Proton nach den Enthüllungen von Edward Snowden im Jahr 2013 über die NSA-Überwachung. Das Unternehmen operiert als gemeinnützige Stiftung, um sicherzustellen, dass seine Mission nicht von Geschäftsinteressen beeinträchtigt wird.
Sicherheit vs. Privatsphäre-Debatte
Während die Behörden behaupten, die Maßnahmen seien notwendig, um schwere Verbrechen wie Drogenhandel und Terrorismus zu bekämpfen, warnen Datenschutzbefürworter vor den Gefahren der Massenüberwachung. 'Metadaten sind hochsensible Daten und ermöglichen weitreichende Schlussfolgerungen über das Leben der Menschen', bemerkte Yen und zitierte den ehemaligen NSA-Direktor Michael Hayden: 'Wir töten Menschen auf der Grundlage von Metadaten.'
Proton betont, dass es bereits mit Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeitet, wenn legitime Ermittlungen bestimmte Personen ins Visier nehmen. Etwa 50 seiner 500 Mitarbeiter sind der Identifizierung krimineller Nutzung seiner Plattform gewidmet. Das Unternehmen weigert sich jedoch, Massenüberwachungssysteme zu implementieren, die die Privatsphäre aller Nutzer gefährden würden.
Die Situation entwickelt sich weiter, wobei der Bundesrat voraussichtlich im Herbst 2025 über die endgültige Fassung der VÜPF-Revision entscheiden wird. Vorläufig dient Protons teilweiser Abzug als klare Warnung vor den potenziellen Folgen von Überwachungsübergriffen in einem der letzten Datenschutz-Refugien Europas.
Nederlands
English
Deutsch
Français
Español
Português